Was für ein Chaos. Wer im Januar diesen Jahres Natalie Häuslers Einzelausstellung
Case Mod
in ihrer Berliner Galerie Supportico Lopez besuchte, fand dort nicht
vor, was die Webseite der Galerie versprach. Fotos von Häuslers
Installation
monika/subway (floor piece) (2012) ließen ein
Raster klar angeordneter Kartonplatten in knalligen Acrylfarben
erwarten, die den gesamten Boden des Hauptraums bedeckten. Doch
stattdessen lagen die Platten wild über den Boden verstreut, verschmutzt
mit dreckigen Schuhabdrücken. Häusler hatte die Platten zwar höchst
sorgfältig arrangiert, aber offensichtlich nicht fixiert. Und so
verschoben sich die Kartonagen mit jedem Schritt der Eröffnungsgäste und
Besucher wieder. Die Platten am Eingang sahen dabei besonders
mitgenommen aus, diejenigen entlang der Wände waren dagegen eher
verschont geblieben. monica/subway erschien nur am Anfang als Raster aus
fröhlichen Farbtönen – und zeigte am Ende doch viel eher die Spuren der
Besucher. Diese ständige sich verstärkende Bewegung gewann schnell eine
beunruhigende Dimension. Ein wenig wirkte das Ganze, als ob man der
Schneise der Verwüstung folgt, die ein Tornado hinterlässt, oder der
Spur von Menschen in Massenpanik. Und doch: Filmt man einen Wirbelsturm
in Zeitlupe, so sieht er beinahe aus wie ein Ballett der Objekte.
Vielleicht ging es in Häuslers Installation ja genau darum: um das
Ausmessen von Bewegung, Geschwindigkeit und Dauer – und zwar in einer
Art Action Painting im erweiterten Feld.
Dieses Feld umfasst nicht nur Malerei und Installation, sondern auch
Dichtung. Häusler verschmilzt alle drei Bereiche miteinander – was es
ihr erlaubt, ganz unterschiedliche Wege des Ausstellens, Schreibens,
Lesens, Vortragens und Zuhörens einzuschlagen. Die Künstlerin wurde in
München geboren und zog 2012 – nach zwei Jahren als DAAD-Stipendiatin
in New York – nach Berlin. 2011 schloss sie das Bard College mit einem
Master of Fine Arts ab und das Studium an der HdK Braunschweig als
Meisterschülerin – beides in Malerei. Im gleichen Jahr gründete sie
gemeinsam mit Ed Steck und Brett Price den Lyrik-Verlag AMERICAN BOOKS.
Das erste Buch des Verlags – Solicitations, mit Beiträgen von 35
Künstlern und Autoren – erschien im Dezember 2012. Schon 2010 tauchte
das erste Gedicht Häuslers in einem ihrer Kunstwerke auf, LOSS – LUST I,
und zwar in einer Installation und Performance gleichen Namens, die am
Bard College aufgeführt wurde. Die auf Kanzleipapier gedruckten Zeilen
des Gedichts wurden von zwei Freunden Häuslers laut vorgelesen und dann
in der Installation verstreut. Das teilweise auf Deutsch, größtenteils
aber auf Englisch geschriebene Gedicht zitiert einen Brief von Franz
Kafka aus dem Jahr 1920, in dem Kafka seine Geliebte Milena Jesenská
davon zu überzeugen versucht, dass sie ein klareres Bild voneinander
hätten, wenn sie sich, statt sich zu treffen, lieber schrieben. Und
Häusler fügt dem ihre eigenen Überlegungen zu Undurchsichtigkeit und
Einsicht im Verhältnis zwischen Künstlern, Werken und Zuschauern hinzu:
„Einen Arbeitsprozess sichtbar zu machen, macht Dich verwundbar.“
Während ihre Freunde diese Zeilen lesen, verspritzt Häusler Tinte auf
die Textilien und die Broschüren der Installation, die alle ein bisschen
wie Rorschachtests wirken oder zumindest zensiert aussehen – entweder
also nach Interpretation oder nach Unlesbarkeit. Längst erscheinen
Häuslers Gedichte nicht mehr nur auf Papier. Sie bedient sich dafür ganz
anderer materieller Träger und lotet Handlungen jenseits des
Rezitierens aus. For Anne (rising) (2012) – eine Installation
im Schaufenster des Berliner Buchladens Motto – enthielt auf zerbrochene
Sektgläser gedruckte Auszüge aus ihrem Gedicht BED. Andere Installationen wie A situation of subtle control/inward-outward gaze (2011) und We are getting a little bit too close here (still life)
(2012), die letztes Jahr anlässlich der Shortlist-Ausstellung des +6|
2012-Columbus-Förderpreises in der Kunsthalle Ravensburg zu sehen waren,
zeigen auf tischähnliche Flächen gedruckte Gedichte. Doch die Worte
wirken verzogen, so als schwebten sie im Wasser oder wären im
Zerrspiegel einer Jahrmarktsbude gespiegelt. Häusler mag solche
Bewegungseffekte – vielleicht als eine textliche Variante von Drip
Painting – ebenso wie Paletten, die Farben miteinander verbinden und
gleichzeitig voneinander absetzen: Plattenraster, Bildschirmschoner,
Wasserfarben, Buntglas. Bei Case Mod hingen acht Bruchstücke
von bemaltem Glas in einer Reihe an einer Wand des Ausstellungsraums;
ein jedes mit einem Gedicht auf Pauspapier versehen, sowie mit einem
schon etwas in die Jahre gekommenen MP3-Player. Man konnte die Gedichte
entweder lesen oder über Kopfhörer anhören – zumindest so lange, bis die
Batterien alle waren. Und die Ausstellung arbeitet noch mit einer
weiteren Zeitmessung: Das Buch WATERCOLOURS
(2012) versammelt ein Jahr Email-Korrespondenz zwischen Häusler und
ihrem Künstlerkollegen David Horwitz, inklusive Illustrationen.
Vielleicht möchte Häusler, die im Mai eine sechsmonatige
Künstlerresidenz an der Cité des Arts in Paris antritt, mit der
Verwendung von Dichtung ja auch der Tatsache entgegenwirken, dass
Sprache in der bildenden Kunst rein zu Erklärungszwecken eingesetzt
wird; denn momentan kranken so viele postkonzeptionelle und
research-basierte Werke genau daran. Häuslers Poetik-Version erweiterten
Actionpaintings betont letztendlich nicht ihre eigenen Aktionen,
sondern die der Zuschauer – sie verweist darauf, wie diese die Kunst
„abnutzen“, sei es durch ihre Interpretationen oder durch schiere
physische Anwesenheit. What pilgrims trust they shall encounter (Advanced Morandi Effect / Mere Exposure Effect
(2012) zeigte im Vorjahr – ebenfalls bei Supportico Lopez – einen Tisch
mit dicht aneinander gereihten, randvoll mit Wasser gefüllten
Trinkgläsern. Wenn man sich dem Werk näherte, erzitterten die Gläser von
den Fußtritten sicht- und hörbar. Trat man ganz dicht heran, dann
klapperten sie wie Zähne, ganz so, als flöße ihnen schon die Aussicht
auf Annäherung Furcht ein.
Link zum Artikel:
https://frieze.com/article/natalie-h%C3%A4usler?language=de
Case Mod, Verschiedene Materialen, Ausstellungsansicht
Supportico Lopez, Berlin, 2013 (Courtesy: die Künstlerin and Supportico
Lopez, Berlin, Fotografie: Hans-Georg Gaul)